Bodenoffensive in Gaza
Warum
die Araber Israel unterstützen
22.07.2014, von RAINER HERMANN
Zum ersten Mal führt Israel einen Krieg, den die
arabische Welt unterstützt. Zum ersten Mal finden die großen Demonstrationen
gegen einen israelischen Krieg nicht auf den Straßen der arabischen Welt statt,
sondern in den Hauptstädten des Westens und in der Türkei. Der Krieg im
Gazastreifen, der bereits in die dritte Woche geht, ist ein Spiegel dessen, was
sich in der arabischen Welt in den vergangenen Jahren verändert hat: Das Heft
halten jene fest in der Hand, die am Status quo nicht rühren wollen; der Raum
für Protest ist so klein wie lange nicht. Die Menschen beschäftigen sich statt
mit der Politik damit, wie sie jeden Tag über die Runden kommen. Der
Palästinakonflikt, lange „der Nahostkonflikt“ genannt, mobilisiert nicht mehr
die Massen, und die autoritären Herrscher benutzen ihn nicht länger, um von den
Missständen im eigenen Land abzulenken.
Stillschweigendes Einverständnis
Gewiss: Viele Araber sind des Konflikts in Palästina, der nicht
lösbar ist, und der immer gleichen Bilder überdrüssig geworden und wenden sich
ihren eigenen Angelegenheiten zu. Mehr ins Gewicht fällt indes, dass sich
Protest nicht mehr äußern kann, dass viele der islamistischen und säkularen
Aktivisten der Jahre 2011 und 2012 im Gefängnis sitzen, dass die einseitige
Berichterstattung in den staatlichen ägyptischen Medien über die Hamas nicht
ohne Folgen bleibt und dass sich die Interessen der Regierungen immer mehr mit
den Interessen Israels decken. Saudi-Arabien, die Emirate und Ägypten – sie
alle haben die Muslimbruderschaft zu einer Terrororganisation erklärt, und Israel
führt nun Krieg gegen deren Arm, die Hamas.
Das veränderte Verhalten lässt sich am Beispiel Ägyptens
illustrieren. Nach 38 Jahren Besetzung hatte 2005 der damalige
Ministerpräsident Ariel Scharon einseitig den Rückzug Israels aus dem
Gazastreifen durchgesetzt. Seither hat es zwischen der Hamas und Israel
drei Kriege gegeben, jeder endete anders. 2008 waren der damalige Präsident
Husni Mubarak und sein Geheimdienstchef Omar Sulaiman sowohl ein
Sicherheitspartner Israels wie auch die international politisch gewichtigste
Stimme der Palästinenser. Daher vermittelte Kairo einen Waffenstillstand, der
alle Parteien zufriedenstellte.
Vier Jahre später, im Jahr 2012, war der Muslimbruder Muhammad
Mursi ägyptischer Präsident. Er vermittelte eine Waffenruhe, der die Hamas auch
deshalb zustimmte, weil Mursis Initiative eine Änderung des Status quo in
Aussicht stellte, also die Lockerung der Abriegelung des Gazastreifens.
Mursis Nachfolger Sisi wandte sich
jedoch von dieser Politik ab. Er ließ zunächst die Abriegelung des
Gazastreifens verschärfen, im März wurden der Hamas in Ägypten alle Aktivitäten
untersagt, dann machte der ägyptische Außenminister Sameh Schukri die Hamas für
den jüngsten Krieg verantwortlich. Bei ihrer Initiative für eine Waffenruhe
berücksichtigten Sisis Unterhändler die Wünsche Israels, nicht aber jene der
Hamas. So will die Hamas einen maritimen Korridor und die Freilassung der
Gefangenen, die Ende 2011 im Austausch für die Freilassung des israelischen
Soldaten Gilad Schalit auf freien Fuß gesetzt worden waren, nun aber wieder
inhaftiert wurden.
Ägypten kann nicht konstruktiv vermitteln
Ägyptens Geheimdienstchef konferierte zwar mit seinem israelischen
Kollegen, nicht aber mit der Hamas. Und so akzeptiert Israel heute nur noch Ägypten als Vermittler,
nicht aber die Türkei und Qatar
– während die Hamas erklärt, Ägypten sei kein ehrlicher Vermittler mehr. Unter
Mubarak hatte Ägypten gegenüber der Hamas einen Hebel in der Hand, unter Mursi
hatte Ägypten auf sie politischen Einfluss. Heute kann Ägypten nicht länger
konstruktiv vermitteln. Denn Kairo hat Partei ergriffen hat und das Vertrauen
einer Konfliktpartei verloren.
Unterstützung erhält Ägypten in seinem Kampf gegen die
Muslimbruderschaft aus den Golfstaaten. Die Vereinigten Arabischen Emirate
hatten den Putsch gegen Mursi mit Ausrüstung und massiven Finanzhilfen
entscheidend gefördert. Immer mehr näherten sich in den vergangenen Jahren
zudem Saudi-Arabien und Israel
einander an. Auch wenn die beiden Länder und ihre Gesellschaften
unterschiedlicher kaum sein könnten: Sie haben gemeinsame Interessen. Beide
verfolgen die Verhandlungen mit Iran über dessen Atomprogramm mit großem
Misstrauen, beide wünschen sich eine Niederlage der Muslimbruderschaft, beide
fürchten den islamistischen Extremismus um Al Qaida, beide hatten auf die
Arabellion mit Abwehr reagiert und wollen den Status quo beibehalten.
Aufsehen erregte, dass jüngst ein saudischer Verlag ein Buch eines
israelischen Wissenschaftler, Joshua Teitelbaum von der Bar-Ilan-Universität in
Tel Aviv, über das heutige Saudi-Arabien veröffentlicht hat. Aufsehen erregte
auch, als sich im Mai in Brüssel in aller Öffentlichkeit zwei ehemalige
Geheimdienstchefs ausgetauscht hatten, Prinz Turki al Faisal Al Saud und
General Amos Yadlin. Yadlin lobte die Sicherheitskooperation mit Ägypten und
den Golfstaaten als „einzigartig“, sprach aber auch davon, dass die Kontakte
unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfänden. Diplomatische Beziehungen gibt
es zwischen den beiden Ländern nicht, und offiziell folgt Saudi-Arabien weiter
dem Israelboykott der Arabischen Liga. Der aktuelle Gaza-Krieg aber zeigt, dass
die Allianzen von gestern nicht mehr die Allianzen von heute sind.
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